Vor 42 Jahren: Walter Ulbricht stirbt am 1. August 1973

Katrin Raetz

 

Mit tief bewegter Stimme verlas am 1. August 1973 der Nachrichtensprecher die Nachricht vom Tod Walter Ulbrichts:

“Das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Staatsrat der DDR, der Ministerrat der DDR, das Präsidium der Volkskammer und das Präsidium des Nationalrates der Nationalen Front der DDR geben in tiefer Trauer bekannt, dass das Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzender des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik, (Herr?) Ulbricht, unser Genosse Walter Ulbricht, heute am 1. August 1973, um 12 Uhr 55 gestorben ist.”

Der Tod des einst mächtigsten Mannes der DDR fiel mit dem Höhepunkt der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin zusammen. Doch nichts sollte das Bild des fröhlichen Festivals trüben, auf dem sich die DDR so weltoffen und tolerant präsentieren wollte. In diesem Sinne erklärte der ZK-Sekretär Hermann Axen, dass es der ausdrückliche Wunsch des Genossen Ulbricht gewesen sei, das Festival zu Ende zu führen, falls das Schlimmste für ihn einträte. Politisch allerdings war Ulbricht schon länger tot. Bereits im Mai 1971 zwangen ihn seine innerparteilichen Gegner zur Aufgabe seiner wichtigsten Ämter.

Seit seiner Rückkehr aus dem sowjetischen Exil am 30. April 1945 hatte er seine Macht in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR durch eine Ämterhäufung systematisch ausgebaut. Der Sprung an die Spitze der DDR gelang ihm durch Stalins Protektion, seinem Machtinstinkt und seinem unglaublichen Opportunismus. So verteidigte er als Vertreter der Kommunistischen Internationale den Hitler-Stalin Pakt und sprach sich gegen die aktive Unterstützung Großbritanniens aus, der einzigen Kraft in Europa, die 1940 willens war, sich der deutschen Aggression entgegenzustellen.


Dabei hatte er in seinem sowjetischen Exil unmittelbar erlebt, wie nicht nur zahlreiche sowjetische Kommunisten, sondern auch deutsche Genossen, darunter auch enge Mitarbeiter des Vorsitzenden der KPD Ernst Thälmann, Opfer des Stalinistischen Terrors wurden. Dazu zählte auch Erich Wendt, der erste Ehemann seiner späteren Frau Lotte, mit der er seit seiner Ankunft in der Sowjetunion zusammen war und die er in den Fünfzigern in der DDR ehelichte.

Sein Abstieg begann schon Anfang der sechziger Jahre. Bei der Niederschlagung der Unruhen des 17. Juni 1953 konnte er sich noch seiner innerparteilichen Gegner entledigen und sich dank der Unterstützung aus Moskau an der Macht halten. Doch die wirtschaftliche Situation blieb unverändert prekär,  immer mehr Menschen verlassen nun die DDR. Nach dem Bau der Mauer 1961 konnte zwar die Massenflucht der Menschen unterbunden werden, doch die, vor allem wirtschaftlichen, Probleme waren damit noch lange nicht gelöst. Unruhen auf Grund des schlechten Lebensstandards konnte er sich keineswegs noch einmal leisten. Deshalb verkündete er auf dem VI. Parteitag der SED 1963 das “Neue Ökonomische System der Planung und Leitung” (NÖSPL), welches ein Versuch war, die Ineffizienz der Planwirtschaft zu überwinden. Betriebe sollten nun mehr Eigenverantwortung und Mitspracherecht erhalten. Die neuen Machthaber in Moskau - Nikita Chruschtschow wurde von Leonid Breschnew gestürzt - missbilligten dieses wirtschaftliche Experiment. Zudem förderte das neue ökonomische System einseitig die Chemie- und Elektroindustrie, was zu Lasten von Konsum- und Zulieferindustrie ging. Nicht wenige im Politbüro fürchteten auch einen schwindenden Einfluss der SED-Führung auf die Wirtschaft der DDR. Zudem wollte die SED-Führung auch das Vertrauen der Künstler und der Jugend gewinnen. Den Künstlern wurde suggeriert, nun könne es mehr künstlerische Freiheit geben. Allerdings in einem bestimmten Rahmen, solange der Sozialismus in der DDR nicht in Frage gestellt werde.

Auch der Jugend musste man so entgegenkommen, wollte man sie nicht völlig dem Staat entfremden. Zu diesem Zweck berief Walter Ulbricht 1963 den Jugendfunktionär Kurt Turba zum Leiter der Jugendkommission beim Politbüro der SED. Turba entwarf mit einigen Mitstreitern das Kommuniqué mit dem vielversprechenden Titel "Der Jugend Vertrauen und Verantwortung". Kurt Turba nahm diese Aufgabe - der Jugend Vertrauen und Verantwortung - sehr ernst. Engstirnige Gängeleien, besonders was den Musikgeschmack und die Mode betraf, sollten nun der Vergangenheit angehören. Die Jugend sollte auf ihre nun erklärte Rolle als “Hausherren von Morgen” vorbereitet werden. Als Erfolge können sicher der Gitarrenwettbewerb und vor allem das Deutschlandtreffen 1964 gewertet werden, bei dem der Rundfunksender DT64 erstmals auf Sendung geht und mit Musik der Beatles sehr schnell bei der Jugend so populär wird, dass es  zu einem regelmäßigen Sendebetrieb kommt. Selbst der spätere ZEIT Verleger Theo Sommer äußerte sich positiv über das Deutschlandtreffen und lobte dessen offene Atmosphäre. Niemand wird ernsthaft glauben, dass diese Maßnahmen der Jugendkommission ohne Zustimmung der SED-Führung erfolgten, da sie ja auch mit hohen Kosten verbunden waren.

Doch alle liberalen Ansätze in der Wirtschaft und Kultur erleben beim 11. Plenum im Dezember 1965 ein jähes Ende. Als “Kahlschlagplenum” in die Geschichte eingegangen, war es ursprünglich als Wirtschaftsplenum gedacht. Doch im Vorfeld des Plenums hatte sich der für die NÖSPL verantwortliche Erich Apel mit seiner Pistole erschossen. Einer der schärfsten Ankläger war Erich Honecker, der der Berichterstatter für das Politbüro war. Er stellte die abwegige These auf, dass gehäufte Jugendkriminalität, Rowdytum und gar Vergewaltigungen nicht nur auf den Konsum der Westmedien zurückzuführen seien, sondern die Ursachen dieser kriminellen Auswüchse wären auch in den Filmen in Kino und Fernsehen, in populärer Musik und gar in literarischen Werken der DDR-Kunst zu suchen. Natürlich, die These war völlig absurd, aber sie sollte zeigen welchen -- in diesem Fall-- schlechten Einfluss die Kultur auf die Gesellschaft hat und welche dramatischen Folgen eine Liberalisierung für die Gesellschaft in der DDR hätte. Um Wirtschaftsthemen ging es jetzt nicht mehr. Im Fokus der Kritik war nur die aktuelle Jugend- und Kulturpolitik. Walter Ulbricht, der immerhin der Initiator dieser vorsichtigen Liberalisierung war, konnte hier seine opportunistischen Qualitäten beweisen: Er schlug in die gleiche Kerbe wie Honecker und weitete dessen Kritik aus. Politisches Bauernopfer wurde der einst von ihm hoch geschätzte Kurt Turba, der kurze Zeit später alle politischen Ämter verlor. Erst 1990 wurde er von der PDS vollständig rehabilitiert.


Noch einmal war es Ulbricht gelungen, sich mit großen Mühen aus der Schusslinie zu bringen. Aber er verliert deutlich an Einfluss in der SED-Führung und sein Sturz scheint nur noch eine Frage der Zeit. Honecker nutzte das Plenum als politische Bühne, um sich gegen seinen einstigen Mentor Ulbricht in Stellung zu bringen. Schon wenige Jahre später ist für Erich Honecker die Zeit des Handelns gekommen. Honecker kann den Zwist zwischen Ulbricht und Breschnew, auf Grund unterschiedlicher Auffassungen zur westdeutschen Entspannungspolitik von Willy Brand, für sich geschickt nutzen. So schreibt er am 21. Januar 1971 an Leonid Breschnew:

“In dem Maße, wie sich Genosse Walter Ulbricht vom wirklichen Leben der Partei der Arbeiterklasse und aller Werktätigen entfremdet, gewinnen irreale Vorstellungen immer mehr Herrschaft über ihn.”

Honecker ließ das Schreiben von 12 weiteren Politbüromitgliedern unterzeichnen. Hatten die sowjetischen Machthaber noch 1953 ihre Hand schützend über Ulbricht gehalten, war die Situation nun eine andere. Honecker entschied den Machtkampf zu seinen Gunsten. Ulbricht hatte sein politisches Gewicht gegenüber der Sowjetunion deutlich überschätzt. Der neue starke Mann in Moskau interessierte sich - im Gegensatz zu Stalin - nicht für Ulbrichts sowjetisches Exil während der NS-Zeit. Am 4. Mai 1971 nötigte man Ulbricht zum Rücktritt als Vorsitzender des ZK der SED und Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates. Erich Honecker wurde sein Nachfolger. Geblieben war Ulbricht lediglich die Funktion des Staatsratsvorsitzenden. Doch selbst in dieser Funktion trat er kaum noch öffentlich in Erscheinung. Der nur einen Monat später anberaumte VIII. Parteitag sollte Einheit und Geschlossenheit der politischen Führung und so eine einvernehmliche politische Nachfolge demonstrieren. Die Präsenz Walter Ulbrichts war also dringend erwünscht. Doch auf Grund seines Gesundheitszustandes lässt er sich entschuldigen. Hermann Axen auf dem VIII. Parteitag:

“Genossinnen und Genossen, ich möchte mitteilen, dass der Vorsitzende unserer Partei, Genosse Walter Ulbricht, krankheitshalber an der Eröffnungssitzung nicht teilnehmen kann. Er hat vorgeschlagen, dass ein Mitglied des Politbüros seine Eröffnungsansprache hält.”

Die Parteispitze der SED empfand Ulbrichts Fehlen als Affront und verschärfte ihre Angriffe. Politbürokandidat Kleiber griff ihn auf einer Sitzung an:

“Du hast uns in eine ernste Lage gebracht. Ich musste damals diskutieren mit den ausländischen Genossen. Sie haben so gefragt: Ist das eine politische oder eine medizinische Krankheit?”

Nicht nur politisch, sondern auch persönlich wurde Ulbricht von seinen innerparteilichen Gegnern demontiert. Zu seinem 78. Geburtstag am 30. Juni 1973 präsentierte man im DDR-Fernsehen den Jubilar: Einsam sitzend auf einem einfachem Stuhl, bekleidet mit Morgenmantel und Hausschuhen. Selten sah man im DDR-Fernsehen eine so demütigende Geste gegenüber einem hohen SED-Funktionär, der wenige Jahre zuvor noch der mächtigste Mann in der DDR war. Obwohl politisch bereits im Abseits und gesundheitlich schwer angeschlagen, will Ulbricht noch einmal sein negatives Image korrigieren und sein politisches Vermächtnis schreiben. Sein Name sollte mit dem Aufbau des Sozialismus in der DDR verbunden sein und nicht mit den Ereignissen des 17. Juni 1953 und dem Mauerbau. Walter Ulbricht:


“Einig und geschlossen sichern wir den friedlichen Aufbau einer blühenden sozialistischen demokratischen Republik. Sie wird blühen und niemand wird das verhindern!”

Doch seine Nachfolger hatten kein Interesse, das politische Erbe Ulbrichts zu bewahren. Noch zu seinen Lebzeiten tilgt man die Relikte seines Personenkultes nach sowjetischem Vorbild. So wurde das Berliner Walter-Ulbricht-Stadion in Stadion der Weltjugend umbenannt.


Auch nach seinem Tod wurde alles getan, um seinen Namen aus dem kollektiven Gedächtnis der DDR zu streichen. Seine Porträts wurden in öffentlichen Gebäuden abgehangen, keine Straße, kein Platz nach ihm benannt. Mit zwei Ausnahmen: Ein Chemiekombinat in Leuna und eine Schule in Leipzig, wo Ulbricht selbst von 1899 bis 1907 die Schulbank drückte, trugen noch seinen Namen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Maik Müller (Montag, 10 August 2015 20:17)

    Interessanter Beitrag. Ich kann mich noch erinnern, wie meine Oma vermeldete "Walter is' tot". Hatte sie vermutlich im RIAS gehört. Mehr davon.

  • #2

    Beate Mueller (Donnerstag, 20 Mai 2021 22:41)

    Ja, so gings damals zu. Nicht mehr wie bei Stalin, gleich liquidieren, aber sehr viel besser war das "langsame Aushungern" auch nicht. Dem Volk war es ja eigentlich egal, kannten die schon: Neuer Mann, grosse Plaene, grosse Freizuegigkeiten, die ersten 100 Tage. Danach immer weniger.
    Vielleicht koennte man noch einen kleinen Fehler korrigieren (auch wenns sicher keiner bemerkt): Das war der VIII. Parteitag, der XIII. fand gar nicht mehr statt :)) Vorwaerts immer....