Vor 50 Jahren: Vom 16. bis 18. Dezember 1965 fand das 11. Plenum der SED statt

Katrin Raetz

 

Vor 50 Jahren fand das 11. Plenum der SED statt, dass als “Kahlschlagplenum” in die Geschichte der DDR eingegangen ist. Dieses Plenum war die entscheidende Zäsur in der Kulturpolitik der DDR und veränderte das Verhältnis der Führungsspitze der SED zu den Künstlern nachhaltig. Mit einer bis dato in der DDR kaum gekannten Vehemenz werden Kunstwerke - vor allem Filme des Kinos und Fernsehens, aber auch einzelne Romane und Gedichte - von der Führung der SED angegriffen und sie für alle Mängel und Versäumnisse in DDR verantwortlich gemacht.

So Horst Sindermann, Abgeordneter der DDR-Volkskammer in seiner Rede auf dem Plenum:

 

“Das Ergebnis solcher Theorien sind eben “Kaninchenfilme” der DEFA, wo aus konstruierten Mängeln eine dem Menschen feindliche Umwelt entsteht, in der nur noch Karrieristen, Zweifelnde, Triebhafte, Schnoddrige, Berechnende, Brutale das Leben bestimmen und in einer in Grau und Zerfall gehaltenen Umgebung sich gegenseitig seelisch zerfleischen. Man muss offen sagen, das ist das Ende der Kunst”
Die “Kaninchenfilme” wurden benannt nach dem Film “Das Kaninchen bin ich”, in der Regie von Kurt Maetzig, einem der angesehensten Regisseuren der Deutsche Film AG (DEFA). Sie standen für eine Reihe von Gegenwartsfilmen, die das Leben in der DDR Mitte der 1960er Jahre thematisierten. Fast die gesamte Jahresfilmproduktion der DEFA und zwei Produktionen des DDR Fernsehens erhielten in Folge des Plenums ein Aufführungsverbot. Dies wurde mit staatsfeindlichen beziehungsweise konterrevolutionären Tendenzen begründet. So unterstellte Paul Fröhlich, damals 1. Sekretär des Bezirkes Leipzig, den Künstlern “eine Art Petöfi-Club” gegründet zu haben. Der “Petöfi-Club” galt im damaligen SED-Verständnis als Verschwörung, die den ungarischen Aufstand von 1956 zu verantworten hatte.
Erich Honecker argumentierte mit schädlichen Folgen für die DDR Wirtschaft:
 
“Es gibt eine einfache Rechnung: Wollen wir die Arbeitsproduktivität erhöhen und damit den Lebensstandard weiter erhöhen, woran doch alle Bürger der DDR interessiert sind, dann kann man nicht nihilistische, ausweglose und moralzersetzende Philosophie in Literatur, Film, Theater, Fernsehen, und Zeitschriftenden verbreiten”.

 

Honecker wollte sich als künftiger Ulbricht-Nachfolger präsentieren Er behauptete, dass die Ursachen für Jugendgewalt nicht nur in den schädlichen Einflüssen der westliche Beatmusik, sondern auch in der DDR-Kunst zu suchen seien.
Was die verbotenen Filmen verband, war, dass sie in der DDR-Gegenwart spielten. Genaugenomen erfüllte die DEFA hier auch nur die Vorgaben der SED. Ausgehend von den Beschlüssen der Bitterfelder Konferenz 1958 sollten sich sich Künstler verstärkt mit der Situation der Arbeiter in den Betrieben beschäftigen und daraus Motive und Inspiration für ihre Kunst finden. Gleichzeitig sollten Industriearbeiter befähigt werden, sich als Künstler zu betätigen. So entstanden in dieser Zeit eine Vielzahl “Zirkel schreibender Arbeiter”.
 
Nach dem Bau der Berliner Mauer im August 1961 glaubten viele Künstler - und einige Funktionäre bestärkten sie darin - dass es nun möglich wäre, ehrliche Filme und Romane zu schaffen. Die Filme zeigt eine Generation, die nicht von der Kriegsschuld belastet ist und nach ihrer Rolle in der neuen sozialistischen Gesellschaft sucht. Dabei werden weder Charaktere noch gesellschaftliche Zustände als perfekt dargestellt.

 

In vielen Ländern mit einer traditionellen Filmkultur begann eine junge Generation von Filmemachern, Filme mit zeitgenössischen, kritischen Inhalten zu drehen. Man denke an das “Free Cinema” in Großbritannien und das “New Hollywood” in den USA. Aber auch aus der Tschechoslowakei kamen ähnliche kulturelle Impulse, die für die Künstler in der DDR Vorbild waren.

 

Der bekannteste Film dieser Zeit, “Spur der Steine”, erhielt noch kein Aufführungsverbot, da er noch nicht fertig gestellt war. Der nach Erik Neutschs Roman gedrehte Film von Frank Beyer erntete Lob und Anerkennung bei seiner Premiere auf den 8. Arbeiterfestspielen. Später werden gezielt Störungen und Provokationen in Kinos der DDR inszeniert, um so “Volkes Wut” über einen DEFA-Film zu zeigen und ein Verbot des Filmes zu rechtfertigen.

 

Nach dem 11. Plenum verlieren etliche Mitarbeiter in Führungsstäben des DDR-Kulturbetriebes ihre Posten. Kurt Turba wird die angeblich verfehlte Jugendpolitik angelastet und als Bauernopfer von Ulbricht geschasst. Dabei war es Ulbricht selbst, der den ehemaligen Chefredakteur der Zeitschrift “Forum” 1963 zum Leiter der Jugendkommission beim Zentralkomitee der SED berufen hatte und der bis dahin mit der Organisation des Deutschlandtreffens der Jugend 1964 für eine liberale Jugendpolitik stand. Er überging damit bewusst den Parteikader Erich Honecker und bei nicht wenigen Funktionären galt nun Turba als Kandidat für Ulbrichts Nachfolge.

 

Das Plenum brachte nicht nur personelle Veränderungen mit sich. Gegenwartsfilme zu drehen wird für viele Filmschaffende der DEFA einfach zu heikel. So versuchte man sich vor allen an historischen Stoffen. Mit den Indianerfilmen wird ein neues und dabei sehr erfolgreiches Genre etabliert. Der erste Film “Die Söhne der Großen Bärin” war der erfolgreichste Film 1966 und wird mit über 9 Millionen Zuschauern einer der großen Erfolge der DEFA. Für die Romanvorlage und das Drehbuch war die Althistorikerin Liselotte Henrich-Welskopf verantwortlich, die eine ausgesprochene Leidenschaft für die nordamerikanischen Indianer hegte, die sie mehrfach besuchte. Die Indianerfilme waren einerseits gut gemachte Abenteuerfilme, zeigten aber auch authentisch die Lebenssituation der Indianer zu Beginn des amerikanischen Kapitalismus, der auf Landnahme durch die Siedler und Vertreibung der Indianer basiert.

 

Doch war das 11. Plenum als Abrechnung mit den Kulturschaffenden und Künstlern der DDR gedacht? Ursprünglich war dieses Plenum als Wirtschaftsplenum angekündigt. Um die ökonomischen Probleme der DDR zu lösen, versuchte Ulbricht es mit einer neuen Wirtschaftsstrategie NÖSPL (“Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung”), bei der die Betriebe der DDR ein größeres Mitspracherecht erhalten sollten.

 

Die Abwanderung vieler Arbeitskräfte und Spezialisten - darunter Ärzte und Ingenieure - hatten die vorhandenen wirtschaftlichen Probleme noch verstärkt. Nur der Bau der Mauer 1961 konnte die massenhafte Abwanderung stoppen, aber viele Probleme blieben und diese konnten schnell zu Unruhen und Protesten führen. Doch die ehrgeizigen Pläne des SED-Vorsitzenden stießen bei vielen Funktionären der SED auf massive Kritik, da sie um ihre Macht und ihren Einfluss auf die Betriebe fürchteten.
 
Doch nicht nur innerhalb der DDR war das Projekt NÖSPL umstritten, auch in der Sowjetunion, von der die DDR abhängig war, stieß das ökonomische Experiment auf wenig Gegenliebe. Denn der neue sowjetische Machthaber Breschnew, der Chruschtschow kurz zuvor stürzte, zeigte wenig Entgegenkommen für die ambitionierten wirtschaftlichen Pläne. Die Umsetzung der neuen Strategie übertrug Ulbricht Erich Apel. In dem ehemaligen Hydraulikfachmann aus dem Team des Raketenspezialisten Wernher von Braun sah Ulbricht den geeigneten Mann, die Wirtschaft zu reformieren. Doch am 4. Dezember 1965 vermelden die Zeitungen der DDR den plötzlichen Tod des 48-Jährigien. Als Todesursache gaben die Zeitungen “nervliche Überlastung” und eine “Kurzschlusshandlung” an. Die ökonomischen Aufgaben der NÖSPL waren schon so sehr anspruchsvoll, aber ohne Unterstützung der UdSSR und mit Ablehnung in den eignen Reihen war dieses Unternehmen nicht zu meistern. Es wird angenommen, dass Erich Apel aus Angst vor dem Versagen und der Abrechnung auf dem 11. Plenum Selbstmord beging.
 
Also suchten die zahlreichen innerparteilichen Gegner Ulbrichts neben der Wirtschaftspolitik andere “Schwachstellen”. Hier bot sich die Liberalisierung der Kultur- und Jugendpolitik geradezu an. Vor allem die Filmschaffenden boten die ideale Zielscheibe. Im Gegensatz zu anderen Kunstgattungen konnte sie ein Millionenpublikum begeistern beziehungsweise positiv oder negativ im Sinne der SED agitieren. Um seine Macht zu erhalten, schlägt sich Walter Ulbricht schnell auf die Seite derer, die die DDR-Kunst angreifen. In seinem Schlusswort versuchte er den Eindruck zu erwecken, dass die Partei hier nur Sprachrohr des Volkes sei, dass seine Errungenschaften verteidigt sehen wollte:
 
“Einige Genossen versuchen den Eindruck zu erwecken, als ob eine Diskussion über die Fragen der Literatur begonnen hätte. Aber das stimmt gar nicht. Die Diskussion hat über ein ganz anderes Thema begonnen. Die Diskussion begann über das Thema der Sauberkeit in der Deutschen Demokratischen Republik, begann über das Thema, ob die Beatgruppen und ob die Sex-Propaganda, die systematisch nach amerikanischem Vorbild betrieben wurde, ob das die Richtung der Entwicklung der Kultur ist. [...] und nicht wir haben sie kritisiert, sondern die Bevölkerung hat sie kritisiert. Die Bevölkerung hat mit Protesten begonnen. Das ist die Wahrheit.”

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Kommentare: 1
  • #1

    Maik Schulze (Dienstag, 15 März 2016 21:56)

    Hallo,

    das ist ja sehr interessant. Kann man die Filme auf Amazon kaufen?

    Grüße aus Oberbayern