Einige Leser der Tageszeitung „Neues Deutschland“ werden sich verwundert die Augen gerieben haben, als sie am 20. März 1988 ihre Zeitung lasen. Die SED-Führung – allen voran der SED-Vorsitzende
Erich Honecker – versprach nun dem Glasnost-Kurs des Genossen Gorbatschow zu folgen. Der sogenannte „Glasklar-Kurs“ verspricht nicht nur Transparenz und Pluralismus, sondern es wird ein
liebenswerter Sozialismus angestrebt.
Dazu werden eine Reihe von gesellschaftlichen Reformen in der DDR in Aussicht gestellt. In einer Anzeige werden Reisen und Flüge nach Rom, Los Angeles, New York, Paris und London angepriesen.
Auch die von so vielen Menschen in der DDR geforderte Reisefreiheit wird garantiert.
Doch kommt es nicht alles etwas plötzlich? Sollte wirklich die Parteispitze der SED einen so drastischen Kursänderung einschlagen? Hatte nicht der Genosse Honecker noch vor kurzem verkündet, dass
die Mauer noch in hundert Jahren stehen werde? Und hatte nicht Kurt Hager mit der Aussage, „Wenn der Nachtbar die Wohnung neu tapeziere, so muss man das ja auch nicht tun.“ die Ablehnung der DDR
zu Reformen begründet?
Aber es ist doch das „Neue Deutschland“, das Zentralorgan der SED!
Auf den ersten Blick schon. Nur bei genauem Hinsehen fällt auf, dass statt „Sonnabend/Sonntag, 19./20. März 1988“, wie bei einer Wochenendausgabe dieser Zeitung üblich, nur „Sonnabend, 19. März
1988“ im Kopf zu lesen ist. Dass die Nummer der Ausgabe nicht stimmt, fällt weniger auf, Stammleser des Neuen Deutschland könnten sich aber gewundert haben, dass diese Ausgabe nur sechs- statt
siebenspaltig gesetzt ist.
Doch Format, Typografie, bis auf die kleinen Fehler, und vor allem das SED - Blatt typische Sprache, sind wie gewohnt.
Doch die meisten Leser, die die Zeitungen abonniert haben oder die Zeitung an den Kiosken kaufen, lesen nichts von diesen neuen Errungenschaften. Dort gibt nur die üblichen Meldungen. Anscheinend
wurde eine gefälschte Ausgabe des Neuen Deutschland nur in der Hauptstadt der DDR verbreitet.
Selbst die sofort alarmierten Sicherheitsorgane können sich nicht erklären, wo die „Fake-Zeitungen“ herkommen. Die Staatssicherheit wurde von der Aktion kalt erwischt. Ihr gelingt es gerade
einmal 178 von den zirka 6000 verteilten Exemplaren sicherzustellen. Immerhin versprechen die Sicherheitsorgane schnelle Aufklärung.
Nur so viel steht für sie fest. Die Zeitungen mussten in den frühen Morgenstunden in die Briefkästen eingeworfen worden sein. Manchmal wurden die Zeitungen einfach ausgetauscht. Die meisten
dieser Zeitungen wurde aber an Bahnhöfen und sogar in Telefonzellen ausgelegt.
Anfangs verdächtigte die Staatssicherheit die links-alternative Westberliner Tageszeitung Taz. Doch hinter dieser spektakulären Aktion steckten Redakteure des Hamburger Magazins Tempo. Das
Magazin war eher als Lifestylemagazin, denn als politisch bekannt.
Die Zeitungen wurden in Lüneburg gedruckt. Um sie in Ostberlin zu verteilen, benötigten die Tempo-Redakteure die Hilfe von ausländischen Hotelgästen in Ostberlin. Ein besonderer Limousinenservice
ermöglichte es, dass diese Gäste vom Westberliner Flughafen Tegel abgeholt wurden, ohne dass sie nochmal an der Grenze zu Ostberlin kontrolliert wurden.
Es dauert nicht lange, dann wissen auch die Sicherheitsorgane in der DDR, dass hinter der Aktion das Hamburger Magazin Tempo steckt. Sofort unterstellt man der Redaktion, dass sie mit der DDR
Opposition zusammen gearbeitet habe. Die SED lässt diese Behauptung, wider besseres Wissen, verbreiten.
Besonders Stefan Krawczyk ist darüber sehr empört. Er sehe seine Arbeit als „sehr ernsthaft“ an. Doch erweist sich die Unwissenheit der bekannten DDR-Oppositionellen eher als Glücksfall für die
Aktion. Denn egal, ob sie noch in der DDR oder bereits in der Bundesrepublik abgeschoben waren, sie werden trotzdem von der Staatssicherheit komplett überwacht. Es ist daher kaum
anzunehmen, dass eine solche Aktion nicht vorher aufgeflogen wäre, wenn die DDR Oposition daran beteiligt gewesen wäre.
Die DDR sorgt nun selbst dafür, dass die Aktion nicht unbemerkt blieb. In der Hauptnachtrichten des DDR-Fernsehens, der „Aktuellen Kamera“, wird über die falschen Zeitungen berichtet. Nun weiß
man in Westberlin und der Bundesrepublik – und natürlich auch in der DDR – von diesem Coup.
Neben den organisatorischen und logistischen Problemen, so einer der Initiatoren, stellte der seltsame Sprachstil der SED-Zeitung die größte Herausforderung dar, auch für erfahrene
Redakteure.
Wohl niemand hätte es damals – sowohl in Ost als auch West – für möglich gehalten, dass viele der ausgedachten Meldungen in kurzer Zeit Wirklichkeit werden.
Die SED-Führung folgte dem „glasklar“ Kurs Gorbatschows bekanntlich nicht und, aber nur eineinhalb Jahre später war die Mauer trotzdem Geschichte. Die Bürger der DDR haben jetzt auch die
Möglichkeit in Länder zu reisen, die ihnen vorher verwehrt blieben
Das Atomkraftwerk in Greifswald wurde 1995 endgültig vom Netz genommen.
Selbst die Ankündigung, dass sich die beliebte Eiskunstläuferin Katarina Witt für den „Spielmann“ (ein Ableger des Playboys) auszieht, wurde Realität. Genau 10 Jahre später zierte Katarina Witt
1998 zum ersten Mal das Cover des Playboys. Diese Ausgabe gehört zu den erfolgreichsten, die der deutsche Ableger des Playboys je hatte.
Kurz nach dem Mauerfall erklärt Karl Eduard von Schnitzler, der Chefkommentator des Fernsehens der DDR, seinen Rückzug an. Ob er, wie im Fake-ND angekündigt, nach Albanien auswandern wollte, ist nicht genau überliefert.
Links das Fake-ND, rechts die originale Ausgabe vom 19./20. März 1988.